Die Geburtsstunde einer Idee
Wir schreiben das Jahr 1973. Am Mount Tamalpais, Kalifornien, stehen Gary Fisher, Joe Breeze und Charles Kelly, drei Freunde, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den knapp 800 Meter hohen Berg mit dem Rad zu erkunden. Das Problem: Die Berghänge bestehen aus steilen Schotterpisten, die mit einem herkömmlichen Rad nicht zu befahren sind.
Aber der Ehrgeiz der drei Freunde ist geweckt: Es muss doch möglich sein, auch diesen Untergrund zu bewältigen! Von Schrottplätzen besorgen sie sich Fahrräder aus den 30er Jahren, die sogenannten Schwinn Cruiser: Ballonreifen, 26-Zoll-Felgen, breite Lenker, keine Gangschaltung – alte Räder für eine neue Idee.
Der Weg hinauf auf den Berg ist mühsam: An Fahren ist nicht zu denken, sie müssen ihre weit über 20kg schweren Räder schieben. Erste Zweifel machen sich breit: Wird alles so klappen, wie sie es sich vorgestellt haben? Doch dann kommt die Abfahrt und alle Zweifel sind wie weggeblasen. Als sie die Schotterpisten hinunterdonnern, über holprige Waldwege dahinrasen, ist ihnen klar: Das kann noch nicht alles gewesen sein!
Erste Rennen, viele Innovationen
Mit ihrer Begeisterung für diese neue Art des Bikens stehen die drei Freunde nicht alleine da: Im Jahr 1976 trifft man sich zu ersten sportlichen Wettkämpfen. Die rund 3 km lange Strecke rund um den Mount Tamalpais ist eine Herausforderung für Fahrer und Material. Die Rücktrittbremse ist solch hohen Belastungen ausgesetzt, dass das Fett qualmend aus den Naben tritt. Nach jeder Abfahrt müssen die Bremsen neu geschmiert werden (Englisch: to repack). Liebevoll wird der Kurs in „Repack“ umgetauft.
Der Wille, bei jedem Rennen als Schnellster ins Ziel zu kommen, ist zugleich der entscheidende Ansporn, die Räder stetig weiterzuentwickeln. Vom Rennrad wird die Gangschaltung übernommen, vom Motorrad der massive Lenker mit Bremshebeln. Es folgt der Einbau von Daumenschaltung und Trommelbremsen. Vom alten Schwinn Cruiser ist nicht mehr viel übrig geblieben.
Das erste Mountainbike der Geschichte
Die Konstruktion des ersten „echten“ Mountainbikes wird Joe Breeze zugeschrieben. Dieser baut im Jahr 1977 ein Rad, das kein nachträglich umgerüsteter Cruiser ist, sondern aus einem eigenständig entwickelten Rahmen besteht.
Breeze weiß: Um das neue Rad noch geländetauglicher zu machen, muss er das Gewicht deutlich reduzieren. Bei der grundsätzlichen Rahmengeometrie orientiert er sich am Vorbild der Schwinn Cruiser, verwendet dabei jedoch dünnwandige Chrom-Molybdän-Rohre. Für eine bessere Stabilität bringt er Versteifungsrohre an. Das Ergebnis ist ein voller Erfolg. Das Bike ist äußerst robust und mit seinen etwa 17kg deutlich leichter als seine Vorgänger.
Als Tim Ritchey zwei Jahre später zu der Gruppe der Mountainbike Pioniere stößt, gelingt es ihm, das Gewicht noch einmal um rund 1,5kg zu reduzieren. Ein weiterer Meilenstein der Mountainbike-Geschichte ist gelegt.
Eine Idee breitet sich aus
Trotz aller technischen Fortschritte ist das Mountainbike vom großen Durchbruch zunächst noch weit entfernt. Und wer weiß, wie die Fahrradwelt heute aussähe, wenn es Charles Kelly nicht gegeben hätte. Er ist es, der die ersten Rennen organisiert, er ist es aber auch, der die neue Idee über die Grenzen des 5000-Seelen-Ortes Fairfax hinausträgt.
Voller Enthusiasmus berichtet er in mehreren Artikeln, unter anderem im bekannten Outside Magazine, über die Bike-Szene rund um den Mount Tamalpais. Er beschreibt die Erfolge und Rückschläge bei der Weiterentwicklung der Räder; er lässt die einmalige Atmosphäre der „Repack“-Rennen greifbar werden; er bringt die Philosophie einer völlig neuen Outdoor-Sportart zu Papier. Und der Funke springt über: Immer mehr Leser beginnen sich für diese Idee zu interessieren, die schon bald überregional bekannt ist.
Von der Resonanz überwältigt ruft Kelly 1981 eine eigene Zeitschrift ins Leben: Mit dem Fat Tire Flyer Magazine ist das erste Mountainbike-Magazin der Welt geboren.
Der Höhenflug
Mit dem zweiten Teil der Reise durch die Geschichte des Mountainbikes sind wir mittlerweile im Amerika der frühen 80er Jahre angekommen. Erste Wettkämpfe, fortwährende technische Neuerungen und Publikationen in bekannten Magazinen hatten aus einer kleinen Idee ein überregionales Phänomen werden lassen. Damit war aber nur der erste Schritt zum weltweiten Erfolg des Mountainbikes getan.
Aluminium-Felgen für ein neues Fahrgefühl
Derweil tüfteln die Mountainbike-Pioniere um Gary Fisher an weiteren technischen Innovationen, um ihre Bikes stetig zu verbessern. Dabei verlieren die Freunde nie die generellen Entwicklungen in der Fahrrad-Welt aus dem Blick. Mit großem Interesse verfolgen sie z.B. den Erfolg des BMX-Rads. Gibt es hier womöglich Ideen, die sich auch auf das Mountainbike übertragen lassen? Schon bald werden sie fündig: Komponenten aus Aluminium.
Schnell rüstet die Gruppe ihre Bikes um: Statt der alten Stahlfelgen nutzen sie nun Felgen aus Aluminium. Was für ein Unterschied! Auf einen Schlag sparen sie so knapp 3 kg beim Gewicht ihrer Räder ein – Welten im Radsport. Das Ergebnis begeistert alle: Als sie mit ihren umgebauten Bikes durch die wunderschöne Naturlandschaft Kaliforniens brausen, erleben sie ein völlig neues Fahrgefühl. Jeder Berg scheint jetzt bezwingbar zu sein!
„Mountainbike“ – ein Name wird geboren
Vieles wurde erreicht in den letzten Jahren, doch eines fehlt noch: ein Name für das neue Bike! Am Ende ist es Gary Fisher, der den Namen Mountainbike ins Leben ruft – und das eher zufällig, denn ursprünglich ist dies nur als Modellbezeichnung gedacht. Doch schnell wird klar, dass es keinen passenderen Namen geben könnte, um mit einem einzigen Wort eine ganze Philosophie zum Ausdruck zu bringen. So wird aus einer Modellbezeichnung der Name einer neuen Fahrradgattung.
Wie aber ist es um die weitere Verbreitung der Mountainbike-Idee bestellt? Die Grundlagen sind schließlich gelegt: 1977 hatte Joe Breeze das erste „echte“ Mountainbike konstruiert und auch Tim Ritchey entwirft seit dem Ende der 70er Jahre immer neue Räder. Vor allem das „Ritchey Mountainbike“ wird dabei zum wahren Verkaufsschlager. Doch dies sollte erst der Anfang sein.