Radsport ist ein harter Sport und das Rennrad ist ein auf das nötigste reduzierte Fahrrad, um möglichst schnell von A nach B zu kommen…für das Thema Komfort gibt es da weder Platz, noch besteht Notwendigkeit – soweit die (glücklicherweise) überholte Meinung aus vergangenen Tagen. Im Profibereich und auch bei den Hobbyfahrern ist längst angekommen, dass Komfort an Rennrädern nicht nur deutlich angenehmer zu fahren ist, sondern unterm Strich sogar messbar schneller macht und wertvolle Energie spart. Angesichts dieser Vorteile ist das Interesse aller Radsportler geweckt – wer will schließlich nicht länger und weiter fahren können, eine höhere Durchschnittgeschwindigkeit erreichen oder nach einem Radmarathon entspannt vom Rad steigen? Das Wort „Komfort“ wird zwar nach wie vor ungern im Zusammenhang mit Rennrädern verwendet, aber es versteckt sich in Begriffen wie Endurance-, Langstrecken-, und Marathonrennrädern. Diese Rennräder bieten durch ihre Geometrie und herstellerspezifischen Federungskonzepte einen deutlich erhöhten Fahrkomfort, auf den man nur ungern verzichten möchte, wenn man einmal in den Genuss gekommen ist.
Welcher Hersteller welches Federungskonzept anbietet, wie diese funktionieren und was für Vor- und Nachteile sie haben, haben wir für dich hier zusammengestellt.
❓ Welche Federkonzepte gibt es?
Die Hersteller bieten für das Thema Komfort jeweils individuelle technische Lösungen an, denn auch in diesem Bereich gilt es für sie, mit einer innovativen und funktionalen Lösung ein Alleinstellungsmerkmal zu kreieren. Die Ingenieure haben sich viel einfallen lassen, um den Profis die materialmordenden und kräftezehrenden Kopfsteinpflasterpassagen erträglicher zu machen und du kannst als Hobbyfahrer direkt davon profitieren, dass diese Konzepte unter härtesten Bedingungen entwickelt wurden.
Diese Federungskonzepte bügeln dabei nicht nur Belastungsspitzen glatt, sondern sorgen mit ihrem Fahrkomfort auch dafür, dass du weniger Energie benötigst und auf schlechten Strecken eine bessere Kontrolle besitzt. Die Rechnung „Weniger Energie + bessere Kontrolle = mehr Kraftreserven und höhere Geschwindigkeit“ geht dabei sowohl für die Profis, als auch für den Jedermann Sportler auf. Dabei ist der Effekt umso größer, je länger und schlechter deine Fahrstrecke ist.
Die folgend aufgeführten Hersteller bieten Rennräder mit Federung an, dabei unterscheiden sie sich bei den eingesetzten Materialien, ihrem Wirkprinzip und natürlich einem eingängigen Namen.
Ein Rennrad mit einer Federgabel – Cannondale Lefty Oliver
Cannondales Lösung ist so einfach wie genial: Warum nicht eine Federgabel verbauen? Federgabeln sind für ihre einwandfreie Funktion bestens bekannt, haben sich jahrelang im Offroadbereich erfolgreich etabliert und bewährt. Zudem hat Cannondale mit der hauseigenen Einarm-Gabel „Lefty“ ein leichtes und technisch innovatives Modell praktisch fertig in der Schublade liegen.
Die am Modell „Slate“ zum Einsatz kommende Lefty-Gabel „Oliver“ verfügt über 30mm Federweg, womit Cannondale völlig zu Recht behaupten kann, dass sie damit ein echtes Offroad-Rennrad auf die Räder gestellt haben.
Mit allerdings knapp 1200 Gramm wiegt die Carbon Variante der Oliver Gabel jedoch immer noch deutlich mehr als eine konventionelle Rennradgabel (zum Vergleich: Gewicht der Gabel aus dem Komfort Rennrad Cannondale Synapse = 577 Gramm).
Am Heck des Cannondale Slate wurden dagegen keine komfortsteigernden Maßnahmen getroffen.
Pinarello Electronic Dogma Suspension System
Pinarello hat bereits im Jahr 2015 auf sich aufmerksam gemacht, als sie am Hinterbau ihres Topmodells Dogma F10 ein Elastomer verbaut haben, welches bis zu 10mm Federweg generieren konnte.
2018 haben sie das System gründlich überholt und mit jeder Menge Technik aufgewertet. Der einfache Elastomer ist im neuen Dogma K10-S gegen einen elektronischen Elastomer Dämpfer ausgetauscht worden, der von Gyroskopen und Beschleunigungssensoren im Sitzrohr permanent über den Zustand der Straße informiert wird. Der Fahrer kann das System am Steuerelement im Unterrohr per iOS- und Garmin App steuern, oder auch im Automatik Modus fahren. Dabei reagiert der Dämpfer im Bereich von 100 Millisekunden, erkennt und reagiert eigenständig auf den gerade vorhandenen Straßenzustand.
Der Federweg von 11mm am Heck wird dabei übrigens nur durch den Dämpfer und flexible Kettenstreben erreicht, es sind keine weiteren Lagerpunkte am Rahmen erforderlich.
Insgesamt wiegt das eDSS genannte System (Electronic Dogma Suspension System) inclusive aller Bauteile und Verkabelung schlanke 320 Gramm – nicht zu viel für ein deutliches Plus an intelligentem Komfort!
An der Front des Dogma wurden dagegen keine komfortsteigernden Maßnahmen getroffen.
Rennrad Federungskomfort von Trek
Bereits 2012 hat sich Trek Gedanken über mehr Komfort am Rennrad gemacht und gemeinsam mit dem ehemaligen Radprofi und Klassikerspezialist Fabian Cancellara das IsoSpeed System entwickelt. Dabei hat Trek Wert darauf gelegt, keine zusätzlichen Bauteile wie Elastomere, Dämpfer oder Federn zu verwenden, sondern die klassische Rahmenform beizubehalten.
Erreicht haben sie den Zuwachs an Federungskomfort durch das Entkoppeln von Sitz- und Oberrohr mittels einer gelagerten Querverbindung, was zu dem Effekt führt, dass das Sitzrohr bis hinab zum Tretlager nachgeben kann. Dieses einfache, aber effektive System gibt es sowohl einstellbar im Trek Domane SLR als auch nicht einstellbares Trek Domane SL.
Drehte sich zunächst alles um den Komfort am Heck, nahm Trek das überaus erfolgreiche IsoSpeed Konzept und implantierte es ab 2016 auch in der Front. Der versprochene Komfortzuwachs von 14% am Heck und 10% an der Front gegenüber einem vergleichbaren Carbonrahmen lässt sich an den Erfolgen ablesen: Seit 2012 wurden die berüchtigten Frühjahrsklassiker sehr oft auf Trek Rennrädern gewonnen.
Ohne Mehrgewicht, ohne zusätzliche Bauteile und ohne erhöhten Wartungsaufwand hat es Trek also tatsächlich geschafft, einen Rahmen zu bauen, der steif und antrittsstark wie ein konventioneller Rahmen ist, aber dennoch einen deutlichen Komfortgewinn mit sich bringt.
Specialized – Lösungen für mehr Komfort
Auch Specialized hat sich beim Thema Komfort gleich um das Heck und die Front gekümmert. Bis 2017 kamen an den Sitzstreben, der Sattelstütze und in den Gabelscheiden eingepresste Elastomer Kissen zum Einsatz, die für mehr Komfort sorgen sollten.
Das System mit dem sperrigen Namen „Zertz“ konnte sich jedoch technisch und optisch nicht durchsetzen, weshalb es ab 2017 durch „Future Shock“ an der Front und eine CG-R Sattelstütze abgelöst wurde.
Bei Future Shock handelt es sich um einen Dämpfer im Steuerrohr, der dem gesamten Cockpit etwa 20mm Federweg verschafft. Der Vorteil gegenüber einer konventionellen Federgabel ist dabei das geringere Gewicht und die gleichbleibende Geometrie beim Einfedern, zudem kann der Fahrer das Cockpit mit drei verschiedenen Federhärten auf sich abstimmen.
Bei der CG-R Lösung am Heck handelt es sich um eine nachgiebige Sattelstütze, die in einem größeren Sitzrohr steckt und erst unterhalb des Oberrohrs geklemmt wird.
Mit 295 Gramm für Future Shock und 260 Gramm für die CG-R Sattelstütze muss neben der gewöhnungsbedürftigen Optik auch hier zusätzliches Gewicht in Kauf genommen werden.
Das System ist an den Specialized Roubaix und Specialized Ruby Rädern zu finden.
🔍 Für welchen Einsatzzweck sind die verschiedenen Federsysteme?
Zugegeben, es ist keine gewagte Prognose, aber wir behaupten einfach mal, dass man eine Federgabel bei der Tour de France nicht so schnell sehen wird. Dieses Federungssystem zielt klar auf den Bereich Gravel/Cyclocross ab – aber dort macht es wirklich Sinn: Ein effektiver, geradliniger Federweg von mehreren Zentimetern, dazu vom Fahrer individuell justierbar – das sorgt abseits befestigter Straßen für Kontrolle und Komfort. Wenn du mit deinem Rennrad also im Alltag die Bordsteine hoch und runter fährst und es bei deinen Ausfahrten als schnelleres Mountainbike siehst, kann ein Rennrad mit echter Federgabel die richtige Lösung für dich sein.
Die Systeme von Pinarello, Trek und Specialized dagegen sind schon längst im Profisport etabliert und kommen bei großen Rundfahrten wie der Tour de France oder dem Giro d’Italia sowie den Klassikern wie Paris-Roubaix, der Flandern-Rundfahrt oder der Strade Bianche erfolgreich zum Einsatz.
Während die entsprechenden Modelle von Trek und Specialized an der Front und am Heck immer komfortabel sind, bieten sie sich für den Einsatz auf ruppigen Strecken und langen Distanzen bestens an. Die Systeme sind absolut alltagstauglich, dazu einfach in der Handhabung und Wartung.
Das Pinarello ist durch seine komplexe Technik bestens für wechselnde Untergründe während eines Rennens geeignet und „denkt“ sogar mit: Hier dämpft nichts, wenn die Strecke es nicht erfordert. Der hohe Preis und die ungefederte Front dürften jedoch den Jedermann Sportler eher abschrecken, der sich einfach nur mehr Komfort auf seinen täglichen Ausfahrten wünscht.
Das Dogma K10-S hat daher sicherlich eine Daseinsberechtigung im Profipeloton, im Alltag dagegen werden eher nur technikaffine Enthusiasten zu diesem Rennrad greifen.
✅ Welche Vor- und Nachteile habe ich gegenüber einem nicht gefederten Rad?
Was nicht dran ist, wiegt nichts und geht auch nicht kaputt – diese altbekannte Ingenieursregel gilt natürlich auch für das Rennrad.
Am nächsten kommt Trek mit dem IsoSpeed an diesen Ansatz heran, alle anderen Systeme verfügen über zusätzliche Bauteile und daraus resultierendes Mehrgewicht.
Die Vorteile sind eingangs bereits erwähnt worden, oder wie die Profis es kurz und knapp sagen: „Smoother is faster!“
Komfort am Rennrad schont die eigenen Kraftreserven und macht unterm Strich schneller und entspannter – für den Großteil der Hobbyfahrer dürfte ein komfortabler Langstreckenrenner die beste Wahl sein.
Im Folgenden haben wir die einzelnen Systeme noch einmal übersichtlich mit Vor- und Nachteilen aufgeführt.
Cannondale Slate mit Lefty Oliver Federgabel | |
Vorteile | Nachteile |
30mm echter Federweg an der Front | Deutliches Mehrgewicht gegenüber einem konventionellen Rennrad (ca. 600 Gramm) |
Auch für gröbere Einsätze geeignet | Keine Komfortmaßnahmen am Heck |
Allgemein bekannte Handhabung und Einstellung | Zusätzliche Wartung und Pflege erforderlich |
Ungewohnte Optik | |
Geometrie verändert sich beim Einfedern |
Pinarello Dogma K10-S | |
Vorteile | Nachteile |
11mm echter Federweg am Heck | Mehrgewicht von 320 Gramm |
Automatikmodus und manueller Modus möglich | Elektronik und Stromversorgung notwendig |
Schnelle Reaktionszeit | Zusätzliche Wartung und Pflege |
Elektronik „liest“ die Straße, federt nur bei Bedarf | Keine Komfortmaßnahmen an der Front |
Individuell einstellbar | Teuer |
Trek IsoSpeed Modelle | |
Vorteile | Nachteile |
Spürbar nachgiebig an Front und Heck | Komfort an SL Modellen und an der Front nicht einstellbar |
Kein Mehrgewicht | |
Keine Wartung erforderlich | |
Konventionelle Optik des Rahmens | |
Einstellbarer Komfort am Heck (SLR Modelle) |
Specialized Future Shock und CG-R Sattelstütze | |
Vorteile | Nachteile |
20mm echter Federweg am Cockpit | Mehrgewicht von 295 und 260 Gramm |
Keine Änderung der Geometrie beim Einfedern | Ungewohntes Fahrverhalten durch federndes Cockpit |
Drei verschiedene Federhärten erhältlich | Ungewohnte Optik an Front und Heck |
Spürbar nachgiebig am Heck |
🚴 Kann ich mein Rennrad auch ohne Federung komfortabler machen?
Wenn du dir an deinem Rennrad mehr Komfort wünschst, aber nicht gleich einen neuen Renner kaufen möchtest, kannst du dir auch mit einfachen aber wirksamen Maßnahmen selbst helfen.
Schon mit geringem finanziellen und schraubertechnischem Aufwand sind deutlich spürbare Verbesserungen des Komforts möglich.
Sattelstütze:
- Sollte dein aktuelles Rennrad über eine Sattelstütze aus Aluminium verfügen, kann der einfache Austausch gegen ein Modell aus Carbon bereits ein deutliches Komfort-Plus bringen. Carbon ist nachgiebiger als Metall und sorgt mit seinem natürlichen Flex für ein geschmeidigeres Fahrgefühl.
- Zu beachten ist in diesem Zusammenhang neben dem passenden Durchmesser auch der sensiblere Umgang bei der Montage: Bei Bauteilen aus Carbon solltest du am besten Montage-Paste (kein Fett) verwenden und unbedingt die zulässigen Anzugsmomente beachten!
Lenker:
- Was am Heck mit der Sattelstütze gilt, gilt ebenso für den Lenker an der Front. Auch hier kannst du mit dem Tausch gegen ein Modell aus Carbon mehr Komfort generieren. Der Montageaufwand ist hier etwas höher, da das Lenkerband erneuert und die STI Hebel neu ausgerichtet werden müssen. Zudem ist diese Variante relativ teuer, da Carbon Lenker meist in der mittleren oder oberen Preisskala angesiedelt sind.
- Zu beachten ist auch hier der sensible Umgang bei der Montage: Bei Bauteilen aus Carbon solltest du am besten Montage-Paste (kein Fett) verwenden und unbedingt die zulässigen Anzugsmomente beachten!
Schaue für mehr Informationen auch in unseren Ratgeber Rennrad Lenker:
Griffband:
- Die einfachste und günstigste Variante für mehr (Griff-) Komfort ist der Austausch des Lenkerbandes. Komfortable Lenkerbänder von mehreren Millimetern Dicke sorgen für deutlich wirksameres Dämpfen der Vibrationen am Lenker als ihre dünnen Pendants.
- Bei Bedarf kannst du zusätzlich im Griffbereich unter dem Lenkerband Gelpolster aufkleben, die den vibrationshemmenden Effekt noch verstärken. Für ein gutes Griffgefühl solltest du auch auf eine optimale Zugverlegung achten.
Reifen:
- Die Reifenbreite spielt in Sachen Komfort ebenfalls eine große Rolle: Breite Reifen kannst du mit einem geringeren Druck fahren als dünne Reifen, was sich direkt auf das Dämpfungsverhalten und den Abrollkomfort auswirkt.
- Benötigt ein 23mm breiter Reifen noch gute 8 bar, kann ein 28mm breiter Reifen bereits mit lediglich 6 bar gefahren werden. Limitierende Elemente können hierbei Rahmen und Gabel sein, oft sind bei Felgenbremsen auch die Bremskörper nur bis zu einer gewissen Reifenbreite geeignet.
- Prüfe doch einfach beim nächsten Reifenwechsel, welche Reifenbreite an deinem Rennrad montiert werden kann und wechsle auf das breitmöglichste Modell für mehr Fahrkomfort.
Schaue für mehr Informationen auch in unseren Ratgeber Rennrad Reifen:
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